Gesellschaftsschichten faszinieren uns! Wir nehmen Anteil am Schicksal von Menschen, die nicht zwangsläufig auf der „Sonnenseite des Lebens“ stehen und verachten jene, die sich am Leid und Elend fast ergötzen. Es gibt wohl niemanden auf der Welt, der nicht auch ein wenig mehr Gleichheit und Gerechtigkeit in der Welt einfordern würde. Aber ist dies tatsächlich so? Gibt es wirklich noch diese Idealisten, welche aufgrund ihres eigenen hohen Bildungsstandes oder ihres fast unausschöpflichen Vorrates an finanziellen Mitteln in der Lage sind, denen zu helfen, die vom besagten Schicksal so arg gebeutelt worden sind?
Barry Fairbrother scheint eine solche Person zu sein. Zwar verfügt er nicht über hohe wirtschaftliche Ressourcen, doch seine Fähigkeit andere zu begeistern und seine Wortgewandtheit, machen ihn zu einer festen Größe in der Lokalpolitik eines kleinen Ortes abseits der unruhigen Straßen Londons.
Pagford ist das, was man möglicherweise als einen typisch englischen Vorort nennen würde. Diese Kleinstadt bietet eigentlich alles, was sich der Bürger von einem Ort verspricht. Die Einwohner kennen sich beim Namen. Man findet alles, was man zum Leben braucht direkt am Platze und das freundliche Auftreten eines jeden Mitbürgers scheint eine wahre Idylle aufzuzeigen, welche es scheinbar gar nicht mehr gibt. Doch diese Ruhe und Geborgenheit trügt.
Urplötzlich wird „Hoffnungsträger“ Fairbrother aus seinem Leben gerissen. Das gegnerische politische Lager sieht nach diesem plötzlichen Verlust ihrer Gegenseite die Chance nun gekommen, ihre eigenen Wünsche und Hoffnungen in der Lokalpolitik des Ortes umsetzen zu können. Was sich in den folgenden Tagen und Wochen jedoch hinter den Türen der Beteiligten abspielt, wird die Einstellung, den Unmut, ja sogar den Hass auf die unterschiedlichen Gesellschaftsschichten in diesem kleinen Wohnort aufzeigen und für große Unruhe sorgen – in beiden Lagern!
Joanne K. Rowling betritt scheinbar ein neues literarisches Terrain. Allerdings ist dies nicht ganz korrekt. Bereits in den frühen Jahren ihrer schriftstellerischen Tätigkeit versuchte sie sich an Erzählungen, die eher auf eine erwachsene Leserschaft abzielte. Ihre ersten beiden Versuche schlugen jedoch fehl und landeten im Papierkorb. Ihre Erfolgsgeschichte, welche schließlich in den 90er Jahren beginnen sollte, ist hinlänglich bekannt.
Nun kommt hier ein sozialkritisches Werk – was soll sich der Leser (Fan?) darunter vorstellen?
Ungeschönt versucht die Autorin das Bild einer sich voneinander entfernenden Gesellschaft aufzuzeigen. Die Sorgen und Nöte der unteren Gesellschaftsschichten halten dem Vergleich mit den Interessen der oberen Schicht nicht Stand. Vorurteile und Wut auf beiden Seiten sorgen dafür, dass der Dialog gar nicht erst gesucht oder gewünscht wird. Beide Lager sind mit ihren Wertevorstellungen meilenweit voneinander entfernt. Die daraus resultierenden Probleme sind jedoch für alle spürbar. Die Menschen, welche in diesem Roman vorgestellt werden, lassen einen Vergleich mit eigenen Erfahrungen oder Vorstellungen der Leserschaft zu, was zur Folge hat, dass die Seiten in schneller Abfolge das Ende dieser Erzählung ansteuern. Der „Höhepunkt“ dieses Dramas sorgt jedoch nicht für einen möglichen „Aha-Effekt“. Nach kurzer Betroffenheit geraten beide Lager wieder in ihre eigenen Verhaltensmuster – als wäre (fast) nichts geschehen.
Etwas versöhnlich sind die Erinnerungen und Gefühle einer Romanfigur zum Ende dieser Erzählung. Doch dem Leser könnte ein leichtes Unwohlsein übermannen. Dieses Ende – diese Geschichte – hätte wohl niemand von dieser Autorin erwartet!
Fazit:
Mutig, überraschend und schroff in ihrem Ausdruck schafft es J. K. Rowling eine Welt zu erschaffen, die der eine oder andere Leser schon kennengelernt hat. Vielleicht zückt jemand den „Eulenspiegel“ hervor um aufzuzeigen, dass wir alle in unseren Wertevorstellungen gefangen sind und vielleicht verlernt haben, auf unsere Mitmenschen zuzugehen. Hilfe zur Selbsthilfe! HARTZ IV! Menschen mit Migrationshintergrund! Asylbewerber vs. Pegida! Kinder und Jugendliche, die mit ihrem Alltag überfordert sind und mit der Diagnose ADHS ins Elternhaus „abgeschoben“ und unter schwere Psychopharmaka gesetzt werden – wir neigen in den letzten Jahren (Jahrzehnten?) häufig dazu, „Schubladen“ zu öffnen, in denen diese Menschen zu passen scheinen. Viele versuchen sich über diese „Klassifizierung“ hinweg zu setzen. Dies macht sie wiederum angreifbar. Vielleicht haben wir einfach verlernt, miteinander zu sprechen und jedem Menschen Gehör zu schenken – ganz gleich, aus welchem politischen oder sozialen „Lager“ dieser Mitmensch stammen mag. Solange wir jedoch mit unseren eigenen Vorurteilen und Ängsten durch unser Land ziehen, wird es keine Besserung – keine soziale Gerechtigkeit – geben. Dieses Buch verdeutlicht dies am Beispiel einer Kleinstadt höchst eindrucksvoll.
Wer jedoch eine neue „fantastische“ Erzählung der Autorin erwartet, wird hier enttäuscht. Dies ist ein Drama und eine durchaus spannende Geschichte, welche sich in unseren Tagen fast überall abspielen könnte. Genau dies macht meiner Ansicht nach den Reiz aus.
Wer sozialkritische Themen und die Geschichten über die gegensätzlichen Gesellschaftsschichten schätzt, wird diesen Roman sicher gern lesen wollen. Ich kann ihn nur wärmstens empfehlen und hoffe, dass diese Rezension ein wenig dazu beitragen konnte, die Neugier unter den potentiellen Lesern zu wecken.
Liebe Grüße,
Olli
x Autor/in: J. K. Rowling
x Titel: Ein plötzlicher Todesfall
x Übersetzer/in: Susanne Aeckerle und Marion Balkenhol
x Genre: Roman, Drama
x 575 Seiten
x Carlsen
x ISBN: 978-3-551-58888-3
Hallo Olli,
ich muss ja gestehen, dass ich bisher noch nichts aus Rowlings Feder gelesen habe. „Harry Potter“ möchte ich zwar schon lange in Angriff nehmen, doch fällt meine Lektüreentscheidung meist zugungsten aktuellerer Titel oder dem Abbau des SUB aus – und „Ein plötzlicher Todesfall“ hat mich bislang nie gereizt (auch wenn ich es schon faszinierend fand, wie selbst hektische Geschäftsmänner kurz nach Erscheinen mit dem Buch durch London liefen). Du hast mir nun allerdings mit deiner Besprechung doch noch Appetit auf die Geschichte gemacht, was wieder einmal beweist, dass sich ein zweiter (oder auch dritter) Blick auf Bücher lohnt. Danke dafür! 🙂
Dir und Tanja wünsche ich morgen einen fabelhaften Start ins Wochenende (das ja leider wenig frühlingshaft ausfallen soll)!
Viele Grüße in den Norden
Kathrin
Hallo Kathrin!
Danke für die lieben Worte. Es freut mich sehr, dass nun auch Du ein weiteres Buch in den eigenen Fokus legst – zumal dieser Roman nicht zwangsläufig zur „leichten Kost“ zählen dürfte. Vielleicht ist es sogar ganz gut, dass Du zu den „WENIGEN“ zählst, die Hogwarts NICHT besucht haben. 😉
Wenn man nämlich diesen Roman als eigenständiges Werk ohne „verfälschte“ Wunschvorstellungen eines Fans in Angriff nimmt, wird es sicherlich ein echtes Leseerlebnis werden. Rowling ist wirklich eine gute Geschichtenerzählerin – auch wenn dieser „Stoff“ manchmal an die Nieren gehen kann.
Auch Tanja und ich wünschen Dir einen schönen Start in die freien Tage der Woche! Nach all´ den Negativschlagzeilen haben wir uns ein wenig Erholung verdient, nicht wahr?
Ganz liebe Grüße,
Olli