So zärtlich war Suleyken von Siegfried Lenz / masurische Geschichten

So zärtlich war Suleken von Siegfried Lenz

»Es war einmal ein zärtliches Dörfchen. Suleyken genannt, gelegen irgendwo und nirgendwo in Masuren, zu erreichen – wie allerorten bekannt und in diesen Geschichten nachzulesen – mit einer Kleinbahn namens Popp, bequemer jedoch mit der Phantasie.« – Siegfried Lenz

Aquarell Zeichnung: Rapsfeld

Starke Bauern schreiten – Hinter Pferd und Pflug – Über Ackerbreiten – Streicht der Vogelzug. Erich Hannighofer (1908–1945). Für Abenteurer u. Fotografen: Faszination Masuren, Reise + Fotoworkshop

»Hamilkar Schaß, mein Großvater, ein Herrchen von, sagen wir mal, einundsiebzig Jahren, hatte sich gerade das Lesen beigebracht, als die Sache losging. Die Sache: darunter ist zu verstehen ein Überfall des Generals Wawrila, der unter Sengen, Plündern und ähnlichen Dreibastigkeiten aus den Rokitno-Sümpfen aufbrach und nach Masuren, genauer nach Suleyken, seine Hand ausstreckte.«

Ein kurzweiliges Vergnügen ist die Novelle „So zärtlich war Suleyken“ von Siegfried Lenz. Sie kurbelt bei mir die Verdauung zu gelesenen Büchern an, die vielleich noch immer, wie große Steine im Magen liegen. Den Großvater des ICH Erzählers Hamilkar Schaß, Leseteufel und Held der kulkaner Füsiliere, habe ich direkt vor Augen, wenn er pfeifend an mir vorbeischlendert. Genauso ergeht es mir mit dem Tantchen Arafa oder im Wanderzirkus von Anita Schiebukat, eigentlich mit fast allen Leutchen, die man hier und dort in den Geschichten, zwanzig sind es an der Zahl, begegnet.

Die Sprache und Art des Erzählens ist eine ganz eigene; sie ist insbesondere durch die Charaktere, durch deren Verhalten und Mundart, Mimik und Gestik, bildhaft einprägsam und gerade deshalb so unverwechselbar und köstlich zu lesen.  Kurz um: Die Geschichten sind grotesk und liebenswert! Oh ja, man kann sich in die Seiten verlieben. Sich daraus vorlesen zu lassen, steigert das Erleben. Gleichwohl kommt es auf den Vorleser an. Ich kann mich nicht beklagen.

Siegfried Lenz ist am 17. März 1926 in Lyck geboren. Das ist ein kleiner Landstrich im ehemaligen Ostpreußen, welchen er in „So zärtlich war Suleyken“ sozusagen huldigt.  In den Erzählungen liest man heraus, was von der Heimat geblieben ist. Der Schalk im Nacken und damit der feine und trockene Humor, die Mundart, die Menschen und die Erinnerung.

»Der masurische Humor erscheint mir, wie eine Aufforderung zur Nachsicht der Welt mit den Leuten.« – Siegfried Lenz

Heute noch kann man die Spuren der Vergangenheit  im polnischen Ermland und Masuren sehen. Vor allem die der Kreuzritter, dort an diesem dünn besiedelten und geschichtsträchtigen Ort, im Land der dunklen Wälder und kristallenen Seen.  Aber was ist mit den Menschen? Wird man sich an sie erinnern, an ihre Sprache, ihren Humor und an ihre uralte Kultur? Die Erzählungen von Siegfried Lenz sind einzigartig, weil er wie kein anderer so zärtlich und köstlich Land und Leute beschreibt und an sie erinnert. Jedesmal wenn ich das Buch lese, werde ich vom Glück geküsst. Das Glück, dass man Erzähltes immer wieder anders erleben, lesen oder hören kann, bietet sich selten an. Genauso wie das seltene Glück, wenn man die Figuren sprechen hört. Keine Frage, dieses schmale Bändchen des großen Schriftstellers Siegfried Lenz,  hat in meinem Regal ein Wohnrecht auf Lebenszeit. Und zwar in der ersten Reihe – quasi mit Fensterblick hinaus ins Grüne.

Autor: Siegfried Lenz / Hausverlag: Hoffmann & Campe  / Titel: „So zärtlich war Suleyken“  Diese erste Kurzgeschichtensammlung ist erstmals im Jahr 1955 erschienen. Seither sind unzählige Neuauflagen und Sonderausgaben von all` seinen berühmten Werken veröffentlicht worden, unter anderem bei DTV und den S. Fischer Taschenbuchverlagen.

Veröffentlicht von Tanja

Bücher lesen, fotografieren, Musik hören, das Meer - das brauche ich wie die Luft zum atmen.

2 Kommentare

  1. Ach, das klingt bezaubernd! Auf so eine gedankliche Reise in diese Idylle hätte ich gerade große Lust. Deine Worte, diese Geschichte und dein Foto lassen mich gerade träumen… Danke dafür!

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