Rezension zu „April“ von Angelika Klüssendorf

April von Angelika Klüssendorf

 

Die Schriftstellerin Angelika Klüssendorf, geboren 1958 in Ahrensburg, lebte von 1961 bis 1985 in Leipzig; heute lebt und schreibt sie in Brandenburg. Sie veröffentlichte unter anderem die Erzählungen „Sehnsüchte“ und „Anfall von Glück“, den Roman „Alle leben so“, die Erzählungsbände „Aus allen Himmeln“ und „Amateure“ sowie den hochgelobten Roman „Das Mädchen“ und gilt heute als eine der unverwechselbaren Erzählerinnen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Jetzt hat „Das Mädchen“ einen Namen – April. Mit „April“ hat Angelika Klüssendorf auch in diesem Jahr den Sprung in die Longlist „Deutscher Buchpreis 2014“ geschafft.

„April“ ist mein erster Roman der Schriftstellerin. Klüssendorfs prägnanter Schreib- und Sprachstil lassen zwischen den Zeilen erahnen, wie grauenvoll Aprils Kindheit in der DDR der 70er gewesen sein muss. Dieser Folgeroman lässt sich auch als eigenständiger Roman lesen. Auch wenn der Beginn mit „April“ an das Ende von „Das Mädchen“ anknüpfen soll. Wir begleiten das Mädchen aus dem Heim weiter in die Selbständigkeit –  ins Erwachsene Leben. Mit einem Koffer voller Erinnerungen kommt sie in einem kleinen Zimmer bei der alten hageren und wirklich unausstehlichen Frau Jungnickel unter. Alte Bekannte feiern ihren Einstand und Neubeginn. Ich spüre, wie sehr April mit sich selbst hadert, wie sie versucht die Gespenster der Vergangenheit zu vertreiben und bewusst oder unbewusst an ihnen festhält, wie sie in Anwesenheit anderer versucht, Worte zu formen und an ihnen fast erstickt, wie sie abends träumend und ziellos durch die Straßen irrt oder sich betäubt. Wie sie Momente des Glücks findet und sie schließlich wieder loslässt, wie sie nach einem missglückten Selbstmordversuch in der Psychatrie aufwacht, weiterlebt und sucht – nach Geborgenheit, Liebe , Freiheit und vor allem nach sich selbst. Ist die Einweisung in die Klinik der Anfang für einen Neubeginn?

„In ihrer Traumwelt gesteht sie sich zu, eine Dichterin zu sein. Diese Epoche (der Zwanzigerjahre) übt eine starke Anziehung auf sie aus, Wahnsinn und Dichtung, so nah beieinander, der Wahnsinn, so scheint es, Vorraussetzung für die Kunst. Doch in Wirklichkeit sind ihr die eigenen Verrücktheiten nur hinderlich beim Schreiben, verstellen klare Gedanken, verbergen die Worte hinter einem Vorhang aus verbrauchten Metaphern.“

Sie beginnt Gedichte zu schreiben, mischt sich im Café Corso unter das Künstlervolk, lernt an Silvester Schauspielerin Irma (die sie an eine dicke Hummel erinnert) und später Hans, ihren zukünftigen Partner, kennen. Das Café ist ihr fremd. Ungewohntes Terrain, wo sich Intellektuelle, Künstler und bärtige Philosophen treffen. Und doch ist das ein Ort, der sie magisch anzieht. Ihr fällt es schwer sich zu öffen, sich frei zu sprechen, sich und ihre Gedanken zu offenbaren, zu vertrauen. Nach dem Job in der Starkstromanlagenbaufabrik, nimmt sie hier und dort unterschiedlichste Jobangebote wahr. Sie sucht selbst nach dem Stachel der tief in ihr sitzt und begegnet nahestehenden Menschen mit Abwehr, verletzt sich selbst und andere. Das liest sich, als würde man auf dem Meer segeln und den Horizont nie erblicken.

„Wolken hängen schwer über den Dächern, Wind wirbelt Blätter und Dreck durch den Schwefeldunst, der von den Chemiewerken kommt, dann setzt der Regen ein [..]“

Der Roman gibt die wechselhafte Stimmung des Monats April wieder. Nur zwischendurch fällt die Sonne durch einen kleinen Schlitz und ich blinzle ihr hoffnungsvoll entgegen. Interessant sind die vielen Begegnungen, menschlicher und literarischer Natur. Die soziale, politische und gesellschaftliche Entwicklung nehmen einen wichtigen Teil dieser Geschichte ein. Angelika Klüssendorf schafft mit präziser aber schlichter Feinheit eine intensive und dichte Atmosphäre. April ist eindringlich – und doch unnahbar. Unerträglich ist, wie sie selbst mit roten Wutpfeilen um sich schießt, wie sie sich treiben lässt. April ist Teil einer Wirklichkeit und Fiktion zugleich. Doch was der eigenen Wirklichkeit entspricht, behält die Autorin – zum Beispiel in vorangegangenen Interviews – für sich. Ein Roman über Vergangenheit und Zukunft, Heimat, Sehnsucht und den Weg in ein selbstbestimmtes Leben. Angetrieben durch die Leidenschaft des Schreibens und zur Literatur –  das wird  wahrscheinlich der Weg sein, sich irgendwann zu finden und neu zu erfinden. Vielleicht ist Aprils Geschichte noch nicht zuende erzählt.

Auch wenn diese Reise ins Unbekannte eine düstere war, flüstert mir eine Stimme ins Ohr: „Du musst sie alle lesen, die Erzählungen, „Das Mädchen“ – einfach alles.

x Autor/in: Angelika Klüssendorf
x Titel: April
x Genre: Roman
x 218 Seiten
x Kiepenheuer & Witsch
x ISBN: 978-3462-06414-4

Veröffentlicht von Tanja

Bücher lesen, fotografieren, Musik hören, das Meer - das brauche ich wie die Luft zum atmen.

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