Weltpolitiker, „Schmidt Schnauze“, Krisenmanager, Krisenkanzler – Helmut Schmidt hatte viele „Bezeichnungen“ oder fragwürdige Titel von Seiten der Presse erhalten. Besonders in den letzten Jahren seiner Kanzlerschaft (Stichwort: NATO Doppelbeschluss) wurde es einsam um diesen charismatischen Mann, der die Politik Nachkriegsdeutschlands in großem Maße prägte.
Nach über 96 Jahren ist er nun von uns gegangen. Ein intelligenter Mann, ein rhetorisches Genie, ein sich stets auf Augenhöhe mit aktuellen Fragen aus Wirtschaft und Politik befindlicher Hanseat, für welchen an Ruhestand wahrlich nur schwer zu denken war.
„In der Krise beweist sich der Charakter!“
Als gebürtiger Hamburger hat er im wahrsten Sinne des Wortes stürmische Zeiten erleben müssen. Soziale Gerechtigkeit – dieser Gedanke war bereits in seiner Kindheit ein starker Impuls. Seine spätere Frau Hannelore, welche von allen liebevoll nur „Loki“ genannt wurde, wuchs als Arbeitertochter in ärmlichen Verhältnissen auf, während Helmuts Familie zur unteren Mittelschicht zählte. Dieses Ungleichgewicht im sozialen Gefüge ließ möglicherweise zum ersten Mal in seinem Leben den Wunsch einer Veränderung aufkeimen. Der Krieg und die schwere Zeit des Wiederaufbaus bremsten diesen Wunsch womöglich etwas aus. Den 2. Weltkrieg erlebte er an vorderster Front als Luftwaffenoffizier. Nach einer kurzen Kriegsgefangenschaft und einem erfolgreichen Wirtschaftsstudium war es jedoch soweit. In den frühen 50er Jahren war Helmut Schmidt bereit für den Start als Politiker. Er wurde Mitglied der SPD und lieferte einige Jahre später als damaliger Innensenator durch eigenmächtiges Handeln sein Meisterstück ab, als 1962 die Sturmflut über seine Geburtsstadt hereinbrach. Spätestens jetzt war jedem Menschen – ganz besonders in Norddeutschland – klar: Hier ist jemand, mit dem jederzeit gerechnet werden muss. Seine Wahlkämpfe wurden stets von seiner Frau begleitet. Ohnehin war die gesamte Familie Schmidt in Zeiten des Wahlkampfes involviert, wenn es z. B. um den Dreh eines Wahlwerbespots ging. In einem Interview erinnert sich der Altkanzler daran, dass diese sehr amerikanische Art des Wahlkampfes seinen Ursprung in den Wahlkämpfen zwischen Kennedy und Nixon hätte. Der Sieg John F. Kennedys 1960 bestätigte dies noch einmal deutlich. Hatte sich dieser junge und charismatische Demokrat aus Massachusetts doch der „neuen Medien“ bedient, um in allen Bereichen des amerikanischen Lebens präsent zu sein.
Die eigene Politik mag ihren Beginn auf Kommunalebene gehabt haben. Doch dass hier nun ein neues politisches „Schwergewicht“ aus Hamburg die Bühne betrat, war allen Westdeutschen in den 60er Jahren klar.
Die Ölkrise der 70er Jahre, der unruhige und andauernde „Kalte Krieg“ zwischen Ost und West und der Terror der Roten Armee Fraktion, welche im „Deutschen Herbst“ 1977 ihren traurigen Höhepunkt erreichte, sorgten nicht nur im Bonner Kanzleramt für unruhige Zeiten. Helmut Schmidt bewegte die Menschen wie kaum ein anderer. Seine Schlagfertigkeit und das unerschüttliche Festhalten an Zusagen und Vereinbarungen sorgten jedoch auch dafür, dass seine dritte Amtszeit als Kanzler der BRD verfrüht ein Ende fand. Das Misstrauensvotum wurde verloren. Die Friedensbewegung und die daraus entstandene neue politische Kraft („Die Grünen“) feierten für einen kurzen Moment einen Sieg. Dass dieser jedoch nur kurz währte lag daran, dass Schmidts Nachfolger Helmut Kohl in Sachen NATO Doppelbeschluss die gleiche Politik verfolgte, wie der Sozialdemokrat aus der Hansestadt.
Helmut Schmidt mag für einige Mitbürger ein wenig in den Hintergrund getreten sein. Zumindest war dies kurz nach dem Ende seiner Kanzlerschaft spürbar. Doch dieser Mann wurde nie müde. Er nutzte die neugewonnene Zeit für Musik, für politische Diskussionen mit alten Weggefährten (Giscard, Kissinger), angeregten und sehr freundschaftlichen Gesprächen mit Siegfried Lenz oder – natürlich – für gemeinsame Stunden mit seiner Loki.
Es war eine „Jahrhunderliebe“ – Helmut und „Loki“ Schmidt waren über 60 Jahre ein Herz und eine Seele. Als sich Hannelore nach einem schweren Sturz nicht mehr erholte und 2010 verstarb, trauerte eine ganze Stadt mit dem Altkanzler. Selten sah man einen stets so gefassten Mann so aufgewühlt, was jedoch nicht verwundert. Vielmehr zeigten vor allem die letzten Jahre auf, dass die Deutschen ihren Altkanzler gern zuhörten.
Sie sahen ihn gern, waren beeindruckt von seinem Wissen, seinem scheinbar unstillbaren Durst, die aktuelle politische Diskussion mitführen zu können. So ist es auch nicht verwunderlich, dass ihn die Mehrheit der Bevölkerung zum beliebtesten Kanzler in Nachkriegsdeutschland wählte – zumindest war dies das Ergebnis einer Umfrage der Wochenzeitung „DIE ZEIT“ im Jahr 2013. Dass er für einen längeren Zeitraum als Mitherausgeber in den Räumen dieser Zeitung wandelte, braucht wohl hier nicht erwähnt zu werden.
Heute trauert Hamburg, trauert Deutschland, um den Verlust eines großen Staatsmannes, welcher sich immer treu geblieben ist. Seine „Statements“ werden uns allen fehlen und die politische Landschaft ärmer aussehen lassen.