Eine Geschichte über Zeitreisen? Ja – in gewisser Weise schon. Und: Nein! Oder doch? Wer hat nicht schon mal davon geträumt in ein anderes Zeitalter zu reisen? Da gibt es den allwissenden Erzähler, der seine Allmächtigkeit gegenüber den handelnden Personen ausspielt und sie hinters Licht führen will. Ich hatte nach dem Lesen der Leseprobe gehofft, dass „Die Landkarte der Zeit“ vielleicht ähnlich wie die Zeitreisen, die Marty McFly in „Zurück in die Zukunft“ erlebt, gestrickt ist oder eine Geschichte ist, welche an „Die Zeitmaschine“ heranreicht; doch dem ist nicht so. Ich habe versucht das zu akzeptieren und mich auf das Geschriebene, die durchaus (bis auf ein paar Ausnahmen) schöne Sprache, mit welcher Palma uns zurück in die Vergangenheit des 19. Jahrhunderts versetzt, eingelassen. Abgesehen vom Ende hat mir lediglich immer der Beginn eines jeden Abschnitts gefallen. Durchaus gibt es vereinzelte Szenen, die zum Nachdenken anregen. Der erste Teil beginnt mit dem reichen Schnösel Andrew Harrington. Dank der großartigen Idee seines Cousins Charles Winslow, will er das Zeitgefüge in der Vergangenheit ändern und die Prostituierte Marie Kelly vor Jack the Ripper retten. Unterdessen habe ich eine naive und blind vor Liebe geleitete Claire Haggerty kennengelernt. Sie reist in die Zukunft und verliebt sich in einen Mann namens Shackleton. „Zeitreisen Murray“ machts möglich. Zuguterletzt ist da noch Inspector Garret zu nennen. Er ist der Meinung, dass die letzten drei Morde in Whitechapel nur durch einen Zeitreisenden verübt worden sein können. Letztlich finden die Geschichten über einen dämonischen Bibliothekar zusammen, womit Palma nur kurzweilig ein wenig Spannung aufbaut. Warum das so ist, werde ich noch genauer beschreiben.
Der Autor Félix J. Palma hatte mit „El mapa del tiempo“ zu deutsch „Die Landkarte der Zeit“ im Jahr 2008 den „Premio Ateneo de Sevilla Preis“ erhalten. Bereits im Jahr 2012 folgte der Nachfolger „Die Landkarte des Himmels“.
Palma stellt seinen Charakteren den großen Autor der Science-Fiction-Literatur Herbert George Wells (1966-1946) zur Seite. Sein Roman „The Time Machine“ erschien 1895 und wurde bereits mehrfach verfilmt. Wells ist mitunter einer der Hauptakteure; neben ihm ist da noch der geschäftige und reiche Mr. Gilliam Murray mit seiner Firma „Zeitreisen Murray“ zu nennen. Wie ein Zirkusdirektor heißt er seine zeitreisenden Gäste willkommen, und bereitet sie gestenreich und mit stolz geschwellter Brust auf die Schlacht in der Zukunft vor. Es ist förmlich zu spüren, wie Mr. Murrays Begeisterung auf die Menge überschwappt. In meiner Fantasie hat Mr. Murray durch Palmas Beschreibung mehr und mehr die Gestalt von Oliver Hardy angenommen – allerdings nur das Äußerliche.
„Die Geräusche, die wir nachts manchmal hören, dieses Knarren, das wir alten Möbeln zuschreiben, sie sind vielleicht nichts anderes als die Schritte eines unserer zukünftigen Ichs, das unseren Schlaf bewacht und ihn nicht zu unterbrechen wagt“ mutmaßte Wells, dem allgemeinen Rummel ignorierend. Erst als Charles ihm die Hand hinstreckte, schien er aus seinen poetischen Betrachtungen zu erwachen. S. 254
Wir treffen auf den Namen Jules Verne, der durch seinen weltberühmten Roman „Kapitän Nemo und Nautilus“ bekannt wurde, aber auch auf andere Personen, die Teil dieser Welt waren und Palmas Erzählung schmücken. Der Roman ist sozusagen Palmas Ode an die Literatur des 19. Jahrhunderts. Mit der Aufzählung bekannter Berühmtheiten – wie Schriftsteller, Schauspieler, Wissenschaftler spart der Autor nicht. Allerdings setzt er sie auch so ein, dass diese in das Erzählte des Allwissenden hineinpassen. Hier und dort ist es, als würde man mit Kaugummi unter den Schuhen durch die Londoner Straßen ziehen. Das liegt vor allem daran, dass Palma sehr ausschweifend schreibt und ausufernd beschreibt. Als einen gelungenen Clou empfinde ich jedoch die zarten Linien, die sich mit der Geschichte Andrews, der der Claire Haggerty und der des Inspector Garrett kreuzen. Gut finde ich, dass Palma zumindest auf die Fragen des Raum-Zeit-Kontinuums eingeht. Und was würde womöglich passieren, wenn man den Lauf der Geschichte ändern würde?
„Andrew erinnerte sich an einige Bücher dieser Art, die sein Cousin ihm ausgeliehen hatte; Bücher wie ´Wahrhafte Erzählungen`, zum Beispiel, von Lucian von Samosata, eine Sammlung fabelhafter Reisen in einem fliegendem Schiff, mit dem der Held sogar auf der Sonne landen konnte, und das innere eines gigantischen Wals durchfuhr. ´Der Mann im Mond` von Francis Godwin, der erste Roman, der von einer interplanetarischen Reise erzählte in dem ein Spanier namens Domingo Gonzales mit einer von Wildgänsen gezogenen Maschine zum Mond flog.“ S. 36
Fazit:
Was bleibt wenn man die letzten Seiten gelesen hat? Bei mir tatsächlich ein sehr gemischtes bis unbefriedigendes Gefühl. Wenn auch die schöne Sprache hervorsticht, so lässt der Inhalt Palmas eigentlicher Geschichte zu wünschen übrig. Ob sich die Landkarte der Zeit zum Schluss entfaltet? Letztlich ist sie mehr als eine Liebesbekundung an die Literatur zu sehen. Sie existiert nur wegen den bereits erzählten Geschichten. Leider ist das Ende zu abrupt. Wie ein fallendes Blatt wollte ich mit dem Wind von Epoche zu Epoche getragen werden, landete im 19. Jahrhundert und erhoffte mit jedem lichten Moment am Ende das Unerwartete. Mit etwas mehr Fantasie hätte der Krieg zwischen Maschinenmenschen und den letzten verbliebenen Menschen im Jahr 2000 etwas spannender, marzialischer und somit realistischer gestaltet werden können und das Ende viel finsterer. Insgesamt ein langatmiger, spannungsarmer, vorhersehbarer und eine teilweise fantasielose Science-Fiction Satire mit guten Momenten die hoffen lassen; doch in Wirklichkeit geschieht nichts überraschendes. Auch nicht mit den letzten Seiten! Wer noch nichts von Wells gelesen hat, dem bietet sich mit „Die Landkarte der Zeit“ ein guter und interessanter Einstieg, um mehr über den Schriftsteller oder andere bekannte Persönlichkeiten zu erfahren. Die Charaktere, so wie auch die verschiedenen Gesichtspunkte der Zeitreisen und die sich daraus ergebenen Fragen, sind dennoch sehr interessant und regen zum Nachdenken an. Nicht unerwähnt sollte ich viele schöne Sätze lassen. Wer sich mit historischer Literatur befasst, sie gerne auch ein bisschen phantastisch sein darf, verbunden mit einer Prise Selbstironie, dem dürfte „Die Landkarte der Zeit“ vielleicht gefallen.
x Autor/in: Félix J. Palma
x Titel: Die Landkarte der Zeit
x Genre: Roman, phantastischer Roman
x 760 Seiten / Taschenbuch inc. Leseprobe zu „Landkarte des Himmels“
x rowohlt Verlag
x ISBN: 978-3499253195