Die exentrische Schriftstellerin Hanna Flanders flieht mit ihrer radikalen politischen Haltung und ihrer literarischen Arbeit aus der Unerträglichkeit des Kleinbürgeralltags. Mit dem Fall der Mauer, zerfällt ihr nicht zeitgemäßes Weltbild. Sie betäubt sich mit Tabletten und begibt sich auf die Flucht ihrer selbst; nicht aber ohne von ihrer marxistisch-leniistischen Ideologie zu weichen. Hanna zerstört sich selbst und andere; ihre Fassade beginnt unaufhaltsam zu bröckeln. Mit dem illusionären Vorsatz ganz neu anzufangen, treibt es sie nach Berlin. Trotz der Isolierung vom Zeitgeist der Wirklichkeit und dem ersten Impuls sich aufzugeben, versucht sie aus lauter Verzweiflung an ihre sozialen Kontake neu anzuknüpfen. Doch erfährt sie auch dort nur Ablehnung, was sich in etwa so anfühlen muss, als würde man eine brennende Zigarette auf einer offenen Wunde ausdrücken, um folglich das letzte Licht der Selbsterhaltung auszulöschen. Der Literaturbetrieb und auch ihr eigener Sohn lassen sie fallen. Sie verliert sich, ist wütend, einsam und leidet unter schwersten Depressionen.
„Kann sein, ich bin zu dumm, Chéri!
sag mir, wo geht die Sonne auf,
und wenn du`s auch nicht weißt, Chéri
geb` ich die Hoffnung auf.“
„Meine Damen und Herren, würde sie sagen oder schreiben, ich war eine Dichterin, ich kann mich selbst kaum noch daran erinnern. Mein Heilig` Blut, mein heilig` Wort, es war teuflisch scharf und witzig, aber meine heilig` Tinte fließt nicht mehr. Ich war einmal eine Dichterin [..] S. 129
Die Sprache ist zerbrechlich, dunkel, depressiv, messerscharf und schwarz zugleich. Erschreckend düster und realistisch wird das Leben der fiktiven Gestalt Hanna Flanders dem „Fräuleinwunder“, Kind der Nachkriegszeit, durch Manfred Flügge wiedergespiegelt – inspiriert von Oskar Röhlers Film „Die Unberührbare“, in dem die Hauptrolle der Hanna Flanders von Hannelore Elsner gespielt wurde – sie erinnert an das Schicksal der Schriftstellerin und Feministin Gisela Elsner, die 1992 im Krankenhaus in München aus dem Fenster des vierten Stockwerks sprang und sich das Leben nahm.
Fazit:
Ich war gefangen im Sog des Buches, des Geschriebenen, der Sprache, der Zeit, der Geschichte. Ich bin trunken und wanke, ringe immer noch nach Worten, um mein Lesegefühl am besten zu beschreiben. Das passiert selten und mein Interesse an den benannten Personen – an jedem, insbesondere an Manfred Flügge, der mich kaum aufatmen ließ ist, weitere Bücher von ihm zu lesen. Dieses Buch beschreibt sehr gut den Charakter einer unnahbaren Künstlerin, die in ein tiefes Loch fällt und deren Arbeiten – nach der Wiedervereinigung eines geteilten Deutschlands, wie sie (Hanna) selbst sagt „NICHTS“ ist. Wird man jemals wieder über sie sprechen? Diese Frage hat Hanna sich selbst gestellt.
Das zeitliche Geschehen, die Personen Oskar Röhler und Gisela Elsner sind für mich, die die Zeit nicht miterlebt hat – künstlerisch sowie auch politisch, schwer nachzuvollziehen. Ich sehe „Die Unberührbare“ als einen Schlussstrich und Neubeginn für O. Röhlers Künstlerdasein an. Mutter und Sohn verbindet allerdings nicht nur die Kunst. Selbst das geht zwischen den Zeilen in „Die Unberührbare – Ein Lebensroman“ hervor.
Infos:
Verzeiht wenn ich mich hier zu den Werken Gisela Elsners, welche über den Verbrecher Verlag neu aufbereitet und publiziert wurden, nicht eingehe. Anderseits verspüre ich den zwanghaften Drang mich irgendwann auch mit den Werken G. Elsners zu beschäftigen. Wobei Oliver (mein Mann) der Geschichtsjunkie und politisch ambitioniertere von uns beiden ist. Durch meine Mutter fiel der Roman in meinen Schoß und die Schriftstellerin war mir bis dato gänzlich unbekannt. Ein interessantes und ausführliches Portrait habe ich auf EMMA gefunden. Vor allem aber möchte ich auf die Kunst Oskar Röhlers verweisen. Sein autobiografischer Roman „Herkunft“ war unter anderem Wegbereiter für die filmische Umsetzung zu „QUELLEN DES LEBENS“.
Manfred Flügge wurde 1946 in Kolden geboren und lebt heute als freier Autor in Berlin. Bekannt ist Herr Flügge für seine Veröffentlichungen: Paris ist schwer. Deutsche Lebensläufe in Frankreich (1991; Die Wiederkehr der Spieler. Der französische Roman nach Sartre (1992; gesprungene Liebe. Die wahre Geschichte zu „Jules und Jim“ (Dokumentar-Roman, 1993) und viele weitere Werke. Mehr Informationen finden sich unter Wikipedia oder direkt auf der Autorenhomepage.
Verweise:
Spiegel Interview mit Oskar Röhler (Sep. 2011).
x Autor/in: Manfred Flügge
x Titel: Die Unberührbare – Ein Lebensroman
x Genre: Roman
x 155 Seiten
x Aufbau Verlag TB
x ISBN: 978-3746613314