„Frühstück bei Tiffany“ – jeder kennt sie, die adaptierte Romanverfilmung mit Audrey Hepburn. Sie in der Hauptrolle der schillernden Holly Golightly, die ähnlich wie Capote, ein exzessives Leben voller Extreme führte. Meine erste literarische Bekanntschaft mit Capote hatte ich jedoch mit „Sommerdiebe“ – eine unvollständige Erzählung, die niemals veröffentlicht worden wäre, hätte man sie nicht gefunden. Genauso wie bei Kafka – „Der Prozess“ oder „Der Verschollene“ (letztere Erzählung erschien unter dem Titel „Amerika“) wurden ebenfalls nie vollendet. Nur im Gegensatz zu „Sommerdiebe“ oder Titel anderer Schriftsteller habe ich den erstgenannten Titel von Kafka nur ein einziges Mal gelesen – ehrlich gesagt erinnere ich mich mit Grauen daran, weil ich permanent mit dem Buch auf dem Bauch eingeschlafen war. Wie komme ich von Capote zu Kafka? Vielleicht, weil es nicht viele Klassiker gibt, die mich mit jeder Zeile verzaubern, wie Capote es zuletzt mit „Die Grasharfe“ bei mir geschafft hat. Vielleicht aber auch, weil beide zu den wichtigsten und berühmtesten Autoren ohne Literaturnobelpreis zählen; genauso wie Kurt Tucholsky – diese Liste ließe sich natürlich mit weiteren Berühmtheiten beliebig ergänzen und zu den meisten hätte ich etwas zu schreiben. Oft wird gesagt, dieses oder jenes Werk sollte man unbedingt gelesen haben. Nicht zuletzt wegen eines – vor längerer Zeit – veröffentlichten Beitrags einer Bloggerin, hatte ich meine erste Bekanntschaft mit Truman Capote gemacht. Ich bin froh darum! Jetzt mit „Die Grasharfe“ habe ich große Lust bekommen, weitere Erzählungen des Schriftstellers oder Parabeln als solches und im Allgemeinen, auch in Anbetracht dessen, dass ich dieses Jahr wahrscheinlich weniger Zeit für große Schmöker haben werde, zum Projekt zu machen. Vielleicht werde ich mir eigens dafür einen E-Reader anschaffen. Das nur als kleines Vorwort.
„Die Grasharfe“ (The Grass Harp) wurde im Oktober 1951 veröffentlicht. Interessant sind hier und dort die Parallelen zu echten Begebenheiten – sie geben etwas über den Schriftsteller preis, das den Text in seiner dichterischen und sprachlichen Schönheit einzigartig und lebendig erscheinen lässt.
Da ist zum Beispiel das Baumhaus, in dem Capote mit Cousin Sook, Nelle Harper Lee, oder anderen Freunden aus der Kindheit viel Zeit verbracht hatte. Aus der Perspektive des 16-jährigen Collin Fenwick erfahren wir, dass er ab dem elften Lebensjahr in den 30er Jahren im Süden der USA als Waise bei den Großcousinen Dolly und Verena Talbot aufgewachsen ist. In Rückblenden erzählt er von ihren schrägen Verhaltensweisen – wie sie leben und was sie voneinander unterscheidet. Von den Picknicken mit Dolly und ihrer Freundin Catherine Creek im Baumhaus und von den Schwierigkeiten des Miteinanders, oder wonach sich jeder einzelne sehnt. Im Gegensatz zur nachdenklichen, liebenswerten Dolly (sie liebt die Natur, das Sammeln von Wildkräutern und braut daraus Medizin) ist Verena, von Catherine >Die da< genannt, kein umgänglicher Mensch. Der Friede wird gestört, als Verena den Anwalt Morris Ritz kennenlernt. Sie wittern mit Dollys Kräutermedizin das große Geschäft und wollen sie für sich gewinnen. Es scheint, als wäre bereits alles entschieden. Dolly wehrt sich gegen Verenas ständige Bevormundung und Dominanz. Infolgedessen fasst Dolly einen Entschluss – sie zieht aus. Mit Collin, ihrer Freundin und zwei weiteren Personen flieht sie in den Paternosterbaum. Es ist eine Flucht aus ihrem bisherigen Leben. Genau wie bei Richter Cool und Riley Henderson, die ein wenig später Teil der Gemeinschaft und späteren „Revolte“ werden. Der Großteil jedoch, und damit die Bürger der Stadt, steht Verena zu Seite. Sie wollen die gesellschaftliche Ordnung wiederherstellen, was in meinen Augen ein bisschen überspitzt dargestellt wird, aber den Blick auf die inneren, gesellschaftlichen und politischen Abgründe schärft.
Was Capote beschreibt mutet skurill an. Aber es gibt gute Gründe, warum diese zärtlich melancholische Erzählung nicht an Wirkung verliert. Sie ist zeitlos. Viel lässt sich hineininterpretieren. Es geht um das Leben in Freiheit aber auch darum, die geltenen Wertvorstellungen und Grundsätze in Frage zu stellen und tief in sich hineinzuhorchen. Zwischendrin hoffte ich, dass der Wind sich dreht und eine neue Richtung einschlägt. Vielleicht war es zu spät.
Das Gefühl das mich nach dem Lesen überkam, hatte mich unter anderem an ein Zitat von Kant und an ein Zitat des russischen Schriftstellers Viktor Borissowitsch Sklovskij erinnert, das ich mir irgendwann einmal ins Notizheftchen schrieb.
„Um für uns die Wahrnehmung des Lebens wiederherzustellen, die Dinge fühlbar, den Stein steinig zu machen, gibt es das, was wir Kunst nennen. Das Ziel der Kunst ist, uns ein Empfinden für das Ding zu geben, das Sehen und nicht nur Wiedererkennen ist.“
Da wird man in die südamerikanische Idylle hinein katapultiert und nimmt den Wind wahr, wie er sich sammelt, erinnert und leise die Blätter und Gräser berührt. Und wie er wieder geht. Capote zeigt auf, das nichts beständig ist. Die Liebe spielt dabei keine unwesentliche Rolle. Auch wenn das Ende relativ schnell abgehandelt wird, war für mich „Die Grasharfe“ eine zeitlose Reise, die sich gelohnt hat. Die Sprache hat mich verzaubert.
x Autor/in: Truman Capote
x Titel: Die Grasharfe
x Übersetzer/in: Friedrich Podszus, Annemarie Seidel
x Genre: Roman, Erzählung
x 200 Seiten
x Suhrkamp
x ISBN: 978-3-518-38296-7
Liebe Tanja,
danke für diese schöne Besprechung. Die Grasharfe ist ein wunderbares Buch, ich habe es jedenfalls als sehr poetisch und zärtlich in Erinnerung. Ganz anders jedenfalls, als die meisten andren Capote-Werke.
Liebe Grüsse
Kai
Lieber Kai,
ich freue mich über deine Wortmeldung und dein Lob. Schön dass wir beide ganz ähnlich empfunden haben. Ich habe noch nicht viele Werke von Capote gelesen, daher kann ich nicht beurteilen was „Die Grasharfe“ von weiteren Werken des Autors unterscheidet. Umso dringlicher möchte ich am liebsten mit der nächten Lektüre fortfahren. So überlege ich gerade „Die Gierigen“ zuerst zu lesen oder bei Capote mit „Kaltblütig“ zu bleiben.
Liebe Grüße,
Tanja