Deutscher Herbst und ungelöste Probleme / Der Baader Meinhof Komplex

Mit dem Schah-Besuch in Berlin Ende der 60er Jahre sollte es beginnen. Begriffe oder Schlagwörter wie „Außerparlamentarische Opposition (APO)“, Studentenbewegung, Kommune oder auch Notstandsverordnung machten in der noch jungen Bundesrepublik schnell die Runde.

Eine Generation, welche die Taten ihrer Eltern während des 2. Weltkrieges verachtete und ihnen die Mitschuld am Größenwahn eines mordenden Regimes gab, wollte mit einer offenen und ehrlichen Art des Dialoges die eigene Geschichte aufarbeiten. Zu viele Bürger sahen sich als Opfer und zu viele von ihnen wollten sich eine eigene Schuld nicht eingestehen.

Die Bundesrepublik Deutschland war ein erfolgreiches Beispiel, geradezu ein Paradebeispiel, für den Wiederaufstieg einer großen Nation. „Marshall-Plan“ und das darauf folgende „Wirtschaftswunder“ der 50er Jahre lenkte die Bevölkerung von einer notwendigen Geschichtsaufarbeitung ab.“Was vergangen ist, ist vergangen!“ Solche oder ähnliche Aussagen durfte sich die Nachfolgegeneration anhören. Wer sich gegen diese Einstellung und Sichtweise stellte, wurde schnell als „jung und naiv“ oder gar „undankbar“ abgestempelt. Der Erfolgszug des Kapitalismus fand in Deutschland einen riesigen Nährboden vor und das betroffene Volk atmete erleichtert auf. Die Not und das Elend, die Diskriminierung, die Vertreibung und das massenhafte Sterben ganzer Generationen geriet schnell in den Hintergrund. Man lebte im „hier und jetzt“ und wollte die Vergangenheit ruhen lassen. Die Wunden waren noch nicht trocken genug!

Der „jungen“ Generation ging dies jedoch nicht schnell genug. Vor allem Intellektuelle aus dem Mittelstand sahen in dieser fehlenden Aufarbeitung der eigenen Taten die Saat einer neuen Bedrohung. Mit Sorge beobachtete man die aufkommenden Konflikte zwischen Ost und West. „Stellvertreterkriege“ in Korea und vor allem Vietnam sorgten für die ersten Massenkundgebungen. Nicht nur in den USA – auch und ganz besonders in Frankreich und der BRD wurde die aggressive Haltung des ehemaligen Befreiers und „großen Bruders“ USA verachtet und scharf verurteilt. Die passive Haltung der Bundesregierung, das Nicht-Eingreifen der Staatsgewalt gegen die „Jubel-Perser“ vor der Deutschen Oper in Berlin während des Schah-Besuchs, die Ermordung des Studenten Benno Ohnesorg und das Attentat auf den Anführer der APO, Rudi Dutschke, sorgten schlussendlich für eine Eskalation und in Teilen für eine Radikalisierung in den Reihen der Protestbewegung.

Stefan Aust, Journalist und ehemaliger Chefredakteur des SPIEGEL, schildert in seinem Buch „Der Baader-Meinhof-Komplex“ eindrucksvoll Entstehung, Verlauf und auch Zerschlagung der 1. Generation der Roten Armee Fraktion (RAF). Dabei gelingt es ihm, die oftmals „nüchternen“ Fakten spannend und trotzdem schnörkellos zu dokumentieren. Die kritische Haltung und das Aufbegehren einer ganzen Generation Mitte und Ende der 60er Jahre wird ebenso dramatisch geschildert, wie der traurige Höhepunkt – der Deutsche Herbst 1977.

Nach Beendigung des nun mehrfach überarbeiteten und aktualisierten Werks hinterlässt der Autor einen Leser, der über Sinnhaftigkeit und Lehren sinniert. Können Ereignisse, welche so lange zurückliegen, Lehren hinterlassen? Die Antwort kann nur ein klares Ja sein! Auch heute sehen wir uns verschiedenen Bedrohungsszenarien ausgesetzt. Während ich Aust´ Werk las, schaute ich mir auch den gleichnamigen Film an. Ich sah verschiedene Dokumentationen zum Thema RAF und ich versuchte zu begreifen, woher diese Angst und die daraus resultierende Motivation herrührte, einem Staat offen den Krieg zu erklären.

Was mich jedoch etwas fassungslos zurückließ, waren einige Kommentare von „Usern“, welche ebenfalls über die eine oder andere Dokumentation „gestolpert“ waren. „Wo bleibt die RAF, wenn man sie mal braucht?“ oder „Mit der Bande hätten wir keine radikalen Moslems in den Städten!“ – sind dies Phrasen oder besser Aussagen von Menschen, die man als „orientierungslos“ oder gar „verachtenswert“ bezeichnen kann?

Die Ereignisse der 60er und 70er Jahre sind in keinerlei Weise vergleichbar mit den Szenarien der heutigen Zeit. Es gibt jedoch ein Merkmal, welches sich durchaus Vergangenheit und Gegenwart zu teilen scheinen – Angst!

Die Angst, nicht mehr über sein eigenes Schicksal bestimmen zu können – fremdbestimmt zu sein! Die Angst, einer neuen Radikalisierung ausgesetzt zu sein. Die Angst, nur noch ein Spielball im Machtgefüge der Herrschenden zu sein. Dass hierbei von Teilen der Bevölkerung eine Gewaltbereitschaft eingefordert wird, ist vergleichbar mit der Sympathisantenszene zu Beginn der Eskalation durch die Baader-Meinhof-Bande Ende der 60er Jahre. Der Bürger entdeckt Unzulänglichkeiten im System, sieht ungerechtfertigte Gewaltanwendung und den Schutz von Tätern durch die staatlichen Organe. Aus Unmut wird Protest – aus Protest wird Gewalt!

Dieses Szenario findet sich auch in unserer heutigen Zeit – sowohl in Europa, als auch in anderen Teilen dieser Welt. Wenn „Der Baader-Meinhof-Komplex“ eine Lehre aufweist dann die, dass die Gewaltanwendung zu keinem Zeitpunkt der Geschichte echte Veränderungen zum Wohle aller brachte. Hanns-Martin Schleyer, Ulrike Meinhof, Jürgen Ponto, Rudi Dutschke, Siegfried Buback – diese Namen stehen für Täterschaft und Opfer zu gleichen teilen.

Vielleicht wäre es nicht zu einer Eskalation gekommen, wenn man offen auf die Ängste und Belange einer verunsicherten Generation eingegangen wäre. Eine neue Zeit der Aufklärung hätte womöglich viele Opfer- und Tätermotive der Folgejahre im Keim erstickt. Wissensvermittlung, Aufklärung und die Bereitschaft zum Dialog – auch die heutige Generation sollte sich dies auf die Fahne schreiben, ohne nach radikalen Mitteln zu fahnden. Ich schließe mit den Worten des ehemaligen Bundeskanzlers Willy Brandt: „Wir wollen mehr Demokratie wagen!“

x Autor/in: Stefan Aust
x Titel: Der Baader Meinhof Komplex
x Genre: Zeitgeschichte / Sachbuch
x 894 Seiten
x Goldmann Verlag
x ISBN: 9783442155972

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