Nächträglich und der Ordnung halber möchte ich unbedingt noch meine gesammelten Schätze für den September, Oktober, November und Dezember nachreichen – es war und bleibt ein Herzensprojekt, das im Januar 2015 von der lieben Kathrin fortgesetzt wurde.
Und wie ich mit breitem Grinsen verkünden kann, wird sie auch im Jahr 2016 das Ruder fest in die Hand nehmen. Leider bin ich ein bisschen spät dran, aber was will man machen, wenn das Jahr mit einem Wasserrohrbruch im Haus beginnt. Hinzu kommt diese verflixte Winterschläfrigkeit.
Ich sage Ahoi und freue mich auf ein neues Lesejahr.
Nun zu meinen Schätzen.
Trümmergöre – Monika Held, 239 Seiten, Eichborn Verlag
»Der Kuss saß lebendig auf meinem Kopf wie eine kleine, warme Maus. Ich konnte sie berühren und streicheln. Sie ging beim Waschen nicht verloren und ließ sich nicht auskämmen.« S. 13
»Vor mir die Welt, so treibt mich der Wind des Lebens / Wein nicht mein Kind, die Tränen sind vergebens. Ein Lied voller Rätsel. Dass ein Herz an Bord gehen kann, konnte ich mir vorstellen – aber was war der Wind des Lebens? Ede lachte und zeigte vage dorthin, wo zwischen Himmel und Erde nichts mehr zu erkennen war. Mein Onkel machte aus der Frage ein Geheimnis: Wohin dich der Wind des Lebens bläst, weißt du erst, wenn du dort angekommen bist.« S. 39
»Schau dich um, Jula, was siehst du?«
»Ich sehe Frauen in weißen Blusen und Männer in dunklen Anzügen. Ich sehe einen Jungen im Matrosenanzug. Ich sehe Kuchenteller, Sahnetorten, Kaffeekannen mit goldenen Deckeln und auf jedem Tisch eine Vase mit einer weißen Rose. Ich sehe Kellner und Kellnerinnen in schwarzen Blusen und langen, roten Schürzen.«
»Was siehst du noch?«
»Den Mann mit der Geige« S. 95
[Challenge] Gesammelte Schätze 2015 – Oktober
Ein Leben mehr – Jocelyne Saucier, 191 Seiten, Insel Verlag / übersetzt aus dem französischen von Sonja Finck
»Wenn man Menschen, die fast ein Jahrhundert auf dem Buckel haben, einen Besuch abstattet, schüttelt man nicht einfach irgendeine Geschichte aus dem Ärmel. Man braucht Fingerspitzengefühl, Geschick, aber man darf es nicht übertreiben, denn alte Leute durchschauen dich schnell, in den letzten Jahren ihres Lebens bleibt ihnen schließlich nicht viel anderes als Gespräche, und sorgfältig zurechtgelegte Sätze machen misstrauisch.« S. 13
»Wer Boychuck als alten Mann gekannt hatte, erzählte, dass seine Augen ein Rätsel waren, ein ungeschriebenes Buch. [..] Bei alten Menschen sind die Augen das Wichtigste. Ihre Gesichter sind eingefallen, die Haut ist schlaff und faltig, vor allem rings um den Mund, die Augen, die Nase und die Ohren. Ihre verhärmten Gesichter sind schwer zu entziffern. Von alten Menschen erfährt man nur etwas, wenn man ihnen in die Augen sieht. [..] Ist der Blick leer, ist es auch das Foto, dachte die Fotografin.« S. 82
Die traurige Geschichte der Marie-Desneige
»Nach sechsundsechzig Jahren des Eingesperrtseins war sie nicht gerade alltagstauglich. Ein aus dem Nest gefallenes Vögelchen, dachte Charlie wieder.« S. 93
»Die Flucht in eine andere Welt rettete uns das Leben. Ein paar Jahre lang lebten wir in unserer eigenen Welt. Wir sahen die Ratten und die Kakerlaken nicht, wir hörten das Weinen und Schreien der anderen Patienten nicht.« S. 114
[Challenge] Gesammelte Schätze 2015 – November
Altes Land – Dörte Hansen, 288 Seiten, Knaus Verlag
»In manchen Nächten, wenn der Sturm von Westen kam, stöhnte das Haus wie ein Schiff, das in schwerer See hin- und hergeworfen wurde. Kreischend verbissen sich die Böen in den alten Mauern. So klingen Hexen wenn sich brennen, dachte Vera, oder Kinder, wenn sie sich die Finger klemmen. Das Haus stöhnte, aber es würde nicht sinken.« S. 7
»Die Inschrift am Giebel war verwittert, aber Vera wusste, was da stand: Dit Huus is mien un doch nich mien, de no mi kummt, nennt’t ook noch sien.«
»Das Haus ist meins und doch nicht meins, der nach mir kommt, nennt’s auch noch seins.«
»“Mein idealer Lebenszweck ist Borstenvieh, ist Schweinespeck“ sang Hildegard von Kampcke, holte in ihrer Flüchtlingskammer zur großen Operettengeste aus und sang noch, als Ida längst kalt vor Wut an ihrem Küchentisch saß.« S. 8
[Challenge] Gesammelte Schätze 2015 – Dezember
Charlotte – David Foenkinos, 240 Seiten, DVA Verlag / übersetzt aus dem französischen von Christian Kolb
Ich war nach langer Irrfahrt am Ziel angelangt.
Das wusste ich gleich, als ich den Raum betrat.
Ich sah in Leben? Oder Theater? alles, was ich an Kunst mag.
All das, was mich seit Jahren beschäftigte.
Warburg und die Malerei.
Deutsche Literatur.
Musik und Fantasie.
Verzweiflung und Wahnsinn.
Alles war da.
Und leuchtete in schillernden Farben. S.70
Das ist mein ganzes Leben. / Aber was ist damit genau gemeint? / Ich übergebe Ihnen mein Werk, das mir so viel bedeutet, wie mein Leben. / Oder vielleicht: Mein Leben geht zu Ende, hier ist es. / Mein GANZES Leben. / Man kann diesen Satz auf alle möglichen Arten lesen. / Und alle Möglichkeiten scheinen zuzutreffen. S. 199