Michael Ondaatje, 1943 in Sri Lanka geboren, lebt heute in Toronto. Mit seinem Roman „Der englische Patient“ (Hanser, 1993), für den er den Booker-Preis erhielt, wurde er weltberühmt.
New Orleans, 1900
Bolden: Friseur bei N. Joseph`s Shaping Parlor, Trinker und Musiker gab den Geschichten der Straßen von New Orleans einen unverwechselbaren Sound. „Bolden war der lauteste“ – heißt es in den Aufzeichnungen weniger Zeitgenossen – bis er verrückt wurde. Er hatte den Jazz erfunden. Heute ist nur wenig über „King Bolden“ bekannt. Es sind nur wenige Fragmente eines Lebens, die Ondaatje zusammengetragen hat und zu einer Geschichte formt, die dem Musiker ein poetisches Denkmal schafft. Schwierig ist es, die Wahrheit von der Fiktion zu unterscheiden. Da ist Webb, ein Polizist und alter Freund von Buddy, der nach seinem Freund sucht. Nach einem Konzert hatte Bolden sich einfach aus dem Staub gemacht. Webbs Suche beginnt in Storyville – dem Rotlichtviertel in New Orleans, das heute mit seinen Geschichten, den vielen Bars, Bordellen und Tanzlokalen und den vielen brutalen Morden legendär geworden ist. Das alte New Orleans kommt mir mit den Beschreibungen vom Schriftsteller wie eine versunkene Stadt vor.
Er war ein Hecht im Karpfenteich, er hatte eine Anhängerschaft. Hatte ein starkes Ego, sein Verhalten wurde mit der Zeit zu sprunghaft. Extrovertiert und dann ein Umschwung zur Introvertiertheit. Mißtrauisches Wesen. Paranoia. Möglicherweise … ein endokrines Problem.
Auf den ersten Seiten versucht Ondaatje die Gegend von Storyville – die Rampart Street, Basin Street, die Franklin und das Leben in eben diesen berüchtigten Vierteln, damals nannte man sie „Swamp“ und „Smoky Row“, zu beschreiben. Nein` Ondaatje beschreibt nicht, er malt Kreidezeichnungen auf`s Papier – das ist sein Pflaster, obgleich es Momente gibt, da seh ich sie nicht. Die Zeichnungen verblassten und es dauerte ein wenig, bis ich sie wieder vor Augen hatte. Den Jazz zu hören und zu spüren erfordert hohe Konzentration. Jedes Wort muss gehört werden. Ich habe „Buddy Boldens Blues“ fast durchgängig mit der rauen und eindringlichen Stimme von Joey Pesci gelesen, was sich merkwürdig anmuten lässt, aber das machte es für mich spannender, lebendiger und komplizierter. Aber dann sehe ich Bolden mit Kornett die Canal Street entlangschlendern und sehe eine Stadt, die mir bisher verborgen blieb. Für diese Reise kann ich mich nur beim Schriftsteller bedanken. Die Begegnung mit Frank Lewis und E. J. Belloqs – seinerzeit ein bekannter Photograph in Storyville, dessen Arbeiten unter anderem im „Museum of Modern Art“ über John Szarkowski (einem berühmten Kunsthistoriker) ausgestellt wurden – sind für mich Momente besonderer Art. Es gibt ständige Perspektivwechsel, Sprünge von der Gegenwart in die Vergangenheit und zurück; das Leben vermischt sich mit dem Jazz und der Poesie. Ich mag Michael Ondaatjes metaphernreiche Sprache. Auch wenn ich hin und wieder ein paar Seiten zurückblättern musste um sie nochmal zu lesen, um die vom Regen fortgewischten Bilder wieder sehen zu können.
Nach der letzen Seite schläfst du ein, wachst tagsdarauf auf, fühlst den Blues und bist ganz leer, irgendwie auch nicht. Ein seltames Gefühl, was Ondaatje mit diesem poetischen Portrait zu Buddy Bolden bei mir ausgelöst hat.
Es gibt keine Schallplattenaufnahme, nur dieses eine Bild von der Band, die Eindrücke verschiedener Personen (ob wahr oder erfunden, man weiß es nicht) und die Worte eines Malers. Dennoch: Ondaatjes fragmentarischer Erzählstil macht es schwierig, einen Zugang zu finden. Der Leser muss sich auf seinen unverwechselbaren Stil einlassen. Es ist das Spiel eines Künstlers.
x Autor/in: Michael Ondaatje
x Titel: Buddy Boldens Blues
x Übersetzer/in: Adelheid Dormagen
x Genre: Roman
x 179 Seiten
x dtv
x ISBN: 3-423-12333-8