Atlas eines ängstlichen Mannes, geschrieben von dem erfolgreichen Autor und Journalist Christoph Ransmayr, hat mich mit einigen seiner Erzählungen – welche übrigens immer mit den Worten: „Ich sah!“beginnen – als Beobachterin von riesigen Buckelwalen in die Tiefe des Ozeans gerissen und mit bildgewaltigen Worten ins Staunen versetzt.
Nicht nur die Geschichte „In der Tiefe“; es sind ein paar Erzählungen dabei, die mich besonders berührt haben. Und es sind eher die stillen Momente, welche das Schauspiel der Natur oder zum Beispiel von Träumen, Sehnsüchten und den Problemen verschiedener Menschen (eher unscheinbaren Personen – manchmal auch angekratzt mit prähistorischen Hintergründen) aus verschiedenen Kontinenten und Kulturen erzählen. Nach diesem Buch fällt mir auf, dass meine Satzstellung ungewohnt lang ist. Woran mag das wohl liegen?
Ransmayrs Erzählungen lassen viel Raum zur Eigeninterpretation. Ich habe mich oft in den Worten verloren, warf den Anker um zu verschnaufen. Ein bisschen verharren, nachdenken. Eine Atempause, bevor ich mich erneut im Strudel aneinandergereihter Worte verlor. Ja, so war das, anders wüsste ich meine verschiedenen Eindrücke nicht zu beschreiben, denn ich sitze auf einer Wippe. Auf, ab, auf und ab. Ich fühle mich wie der Fischer auf seinem Kutter, der seinen kargen Fang beklagt und die Trophäe, eigentlich seinen besten und einzigen Fang, nämlich einen riesigen Hummer, welchen er wieder ins Meer hineinschmeißt. Ein Ausdruck der Unzufriedenheit gekoppelt mit einer ungeheuren Wut, wenn man im Hinterkopf hat, dass man seine Familie ernähren muss und nicht weiß wie. Wie wird sein Leben weitergehen? Wohin wird es den Fischer noch führen? Welche Entscheidungen wird er treffen? Man weiß es nicht, denn die meisten dieser Geschichten (nicht alle) würden noch weitererzählt; beziehungsweise gelebt werden. Nie wird man erfahren, wie es den Fischer in zehn Jahren geht, sowie dem jungen Albatros oder der Frau in der geschlossenen Psychiatrie. Das Ende bleibt uns Leser verborgen! Und ich glaube, das ängstigt den Strandwanderer. Vielleicht denkt er selbst darüber nach, wohin es ihn noch führen wird. Ihn und seine Neugier. Vielleicht will er das gar nicht wissen? Aber was ist mit den Erzählungen, für die es keine Zukunft mehr gibt? Ob ihr es glaubt oder nicht: Ich denke heute, obwohl das Buch bereits längst ausgelesen ist, noch immer darüber nach. Ob mir das gesamte Erzählband gefallen hat kann ich deshalb nicht mit einem Ja oder einem Nein beantworten, weil neben dem himmelhochjauchzendem Gefühl ist alles drin. Manches blieb mir fern, nicht greifbar.
Wenn ich lese will ich nicht nur sehen und fühlen, sondern mittendrin sein. Ich will den ozeanischen Wellen lauschen, die Luft riechen und schmecken. Oh ja, den Wind den will ich spüren! Ich habe mir die Frage gestellt, ob ich das Gelesene immer noch gut finden würde, wenn nicht der Name des begnadeten Journalisten und Autor Ransmayr, der bereits mit einigen hoch dotierten Preisen ausgezeichnet wurde, auf dem Umschlag stehen würde, sondern ein Name, der mir völlig unbekannt wär`? Wenn ich ehrlich bin, hätte ich das Buch allerdings nach der dritten längeren Lesepause nicht mehr angerührt. Meine Erkenntnis: Ich hätte einiges verpasst! Was ich definitiv sagen kann ist, dass die Geschichten für mich viele Fragen philosophische Lebensfragen aufgeworfen haben. Meine Neugier war von Anfang an geweckt, schwand aber auch bei der einen oder anderen Begegnung, in welcher es nur schleppend voranging. Jetzt glaube ich zu wissen, dass ich ihn verstehe – diesen ängstlichen Mann. Normalerweise ist das nicht die Art Buch, mit der ich – abgesehen von den wundervollen bildreichen Beschreibungen – ein paar entspannte Leseabende verbinde, habe ich die Emotionen und das Überraschungsmoment vermisst. Manches wirkte auf mich wie eine perfekt konstruierte Architektur aus Worten. Aber so ist Ransmayrs Stil und diesem bleibt er sich durchweg treu. Es ist kein rasantes Lesevergnügen; eher ein ruhiges, auf das man sich einlassen und auf das man Lust haben muss. Genau deshalb musste ich das Buch oft zur Seite legen. Nicht, weil es nicht gefiel, sondern weil es für mich persönlich eine echte Herausforderung war, die vielen Geschichten in einer zusammenzufassen, abzuwägen, philosophieren und so zu deuten, dass alles einen Sinn ergibt. Manchmal muss man die Augen schließen um das zu sehen, was der Strandwanderer sieht.
In diesem Sinne,
liebe Grüße von eurer Tanja
Christoph Ransmayr, Atlas eines ängstlichen Mannes, S. Fischer, geb. 464 Seiten